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Gemeinde Dobel

T6 - „Grundstück mit wechselvoller Geschichte“

Dieses Grundstück hier war ursprünglich eine Hufe aus der Zeit der Erstbesiedelung Dobels, also ein Grundstück, das von der Hofstelle bei der Kirche bis zum Waldrand reichte. Durch den Bau der Staatstraße 111 (heute L 340) von der Eyachbrücke nach Herrenalb im Jahr 1885 wurde das Grundstück geteilt und entlang der Neuen Herrenalber Straße eine Bebauung ermöglicht. Dobel wurde durch diese neue Straße an die Eisenbahnen im Enztal und im Albtal angeschlossen und es bestand nun ein Postkutschenverkehr von Wildbad nach Baden-Baden. Der Tourismus auf dem Dobel nahm in der Folge einen rasanten Aufschwung und erforderte eine Verbesserung der ärztlichen Versorgung.

Ab September 1904 wurde der aus Laucha an der Unstrut zugezogene, jedoch aus Herxheim/ Pfalz stammende Dr. Konrad Schultz von der Gemeinde zum Kur-, Orts- und Armenarzt bestellt. Für die Behandlung mittelloser Personen erhielt er von der Gemeinde jährlich ein „Wartgeld“ von 1.000 Reichsmark (RM). Seine Wohnung und Praxis hatte er in einem Privathaus in der Hauptstraße. Im Februar 1905 starb er im Alter von 34 Jahren, wenige Tage nachdem sein erst 18 Tage altes Töchterlein verstorben war. Die Gemeinde suchte einen neuen Kur-, Orts- und Armenarzt.

Wie ein Arzt aus München auf diese Stelle aufmerksam wurde und was ihn zu diesem Ortswechsel veranlasste ist nicht bekannt. Schon zwei Wochen nach dem Tod von Dr. Schultz konnte mit Dr. Waldemar von Harff ein neuer Vertrag mit denselben Leistungen und demselben Entgelt geschlossen werden. Dr. von Harff stammte aus altem deutsch-baltischem Adel, der seit Generationen in Lettland ansässig war. Im Februar 1868 wurde „Woldemar“ im fernen Blagoweshschensk am Fluss Amur, an der Grenze zu China, geboren. Sein Vater war unter Zar Alexander II. acht Jahre Vizegouverneur der „Oblast Amur“. Dem Aufenthalt in Sibirien folgten zwei bis vier Jahre in Wolgograd, bevor die Familie in die lettische Heimat zurückkehrte und in Riga wohnte. Nach einigen Jahren in Riga kam der Vater dann nach Kazan, der Hauptstadt von Tatarstan. Ob der junge Woldemar auch mit nach Kazan ging, wo er Medizin studierte, wann er nach Deutschland auswanderte und wie lange er in München als Arzt tätig war ist nicht bekannt. 1903 hatte er in Marie Theresia Scheurer, geboren 1872 in Straubing, geheiratet. Im März 1905 kam das Ehepaar von Harff auf den Dobel. Schon nach einem Jahr baute Dr. med. v. Harff seine Villa auf dem Flst. 441/1, das er von Schultheiß Karl Allinger gekauft hatte. Karl Allinger hatte als Mittelsmann zuvor das Grundstück von den Erben des früheren Schultheißen Friedrich Schuon erworben. 1907 war der Bau fertiggetellt. Die Villa diente als Wohnhaus und Arztpraxis. Die beantragte Handapotheke wurde vom Oberamt nicht genehmigt. An Kurgäste wurden Zimmer vermietet. Im August 1908 wurde Töchterchen Charlotte geboren. In dieser Zeit wurde auch die Blutbuche gepflanzt. Dr. von Harff war nicht lange auf dem Dobel. Mit der Villa hatte er sich finanziell übernommen und auch die Gemeinde war mit seiner Tätigkeit nicht ganz zufrieden, denn sie kürzte ihm sein „Wartungsgeld“ von 1.000 auf 600 RM. Im Oktober 1911 kehre das Ehepaar von Harff Dobel den Rücken und zog nach Chemnitz, wo sich ihre Spuren verlieren.

Die Villa sollte 1912 zwangsversteigert werden. Ein Professor Dr. Nikolai aus Berlin, möglicherweise ein Bekannter der Familie, übernahm die Schulden und blieb Eigentümer bis 1920. Danach kam die Villa in verschiedene Hände. Zuerst in die eines pensionierten Hauptmanns, der von der Villa aus Landwirtschaft betreiben wollte. 1928 erwarb der in Ägypten geborene Tiefbauingenieur Albert Blind und Ehefrau Luise die Villa, deshalb der frühere Name „Villa Blind“. 1940 folgte der Handelsvertreter Rudolf Thony aus Straßburg. Im „Landhaus Thony“ wurden Zimmer und Appartements -ohne Pension- an Feriengäste vermietet. 1946 wurde der Wirt des durch Bomben zerstörten Kurhotels „Sonne“, Emil Bossinger, Eigentümer der Villa. Er wollte hier und auf dem ihm gehörenden Nachbargrundstück, auf dem jetzt das Kurhaus steht, ein neues Hotel „Sonne“ aufbauen. Die Baugruben waren bereits ausgehoben, da starb er, 50-jährig, im Jahr 1948.

1955 verkauften die Bossinger-Erben die Villa an den Badischen Turnerbund, der hier 15 Jahre lang ein Freizeitheim betrieb und der „Villa“ neues Leben einhauchte. 1971 erwarb die Gemeinde vom Turnerbund das gesamte Areal. Zunächst wurden die Tennisplätze angelegt, dann 1978 die Villa abgebrochen und das Parkhallenbad mit Außenbecken erstellt. Das allgemeine „Bädersterben“ machte auch vor dem Dobler Bad nicht halt. Nach 30 Jahren kam das Ende. Der Betrieb wurde 2010 eingestellt und das Bad 2013 abgebrochen. Die an derselben Stelle errichtete Sporthalle wurde am 10. November 2017 eingeweiht. Die Blutbuche des Dr. Woldemar von Harff aus dem fernen Sibirien hat all diese Zeiten überlebt. 2017 begann sie zu kränkeln, sie war vom Riesenporling befallen. Am 7. Dezember 2018 schlug ihre letzte Stunde. Ihr Torso erinnert noch eine Zeit lang an die „Villa“. 

http://www.dobel.de//freizeit-tourismus/aktiv/orts-und-waldhistorische-erlebniswanderwege/t6-grundstueck-mit-wechselvoller-geschichte