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Gemeinde Dobel

Vor 70 Jahren auf dem Dobel: Luftangriff am 4. Dezember 1944

Nur noch wenige Zeitzeugen leben, die über den Luftangriff auf unseren Ort am Abend des 4. Dezember 1944 aus eigener Erfahrung berichten können. Im Rahmen der VHS-Serie „Alte Dobler erzählen“ war dieses Kriegs-Ereignis Thema. Frau Friedel Knöller, Neuenbürger Straße 7, war damals zehn Jahre alt und berichtete aus ihrer Erinnerung:

„Meine Mutter Marie Seyfried, meine Schwester Edith (damals 7 Jahre alt) und ich waren in der Küche im Erdgeschoss unseres Hauses versammelt, als abends gegen halb acht Uhr eine im Hotel Funk als Zwangsarbeiterin eingesetzte Polin kam, um – wie üblich – das Abendessen zu bringen, für die im Obergeschoss einquartierten Evakuierten aus der zerbombten Stadt Essen. Sie berichtete, dass man draußen sehen könne, wie (das 30 km entfernte) Karlsruhe wegen eines Bombenangriffs lichterloh brenne.

Da konnten wir auch schon Flugzeuggeräusche hören. Einer inneren Eingebung folgend, zog uns unsere Mutter in letzter Minute in den Keller. Wir suchten zuvor, trotz der häufigen Luftangriffe auf die Städte, noch nie Schutz im Keller, weil für uns Dobler der Krieg immer weit weg war, auch wenn viele Dobler Männer im Kriegseinsatz waren.

Da schlugen auch schon die Bomben ein. Eine davon traf den gusseisernen Wasserschachtdeckel auf der gegenüber liegenden Straßenseite. Dies hatte eine verheerende Wirkung. Wir konnten den Keller zwar unbeschadet verlassen (in der Küche hätten wir nicht überlebt), aber in der Nachbarschaft gab es großes Leid.

Im Haus Nr. 15 wurde die Ehefrau des Wassermeisters Otto König tödlich verletzt. Seine Tochter Eleonore verlor durch Splitter ein Auge. Auch die im Haus einquartierte 78-jährige Frau Martha Apholz aus Wuppertal verlor dabei ihr Leben. Sie hatten alle nicht das Glück wie wir, noch rechtzeitig gewarnt worden zu sein.

Unserer Nachbarin Klara König im Haus Nr. 5 wurde ein Arm abgerissen. Im Notfallkoffer, den meine Mutter mit in den Keller genommen hatte und der eigentlich hauptsächlich zur Sicherung wichtiger Dokumente diente, befand sich glücklicherweise eine Rolle mit breitem Gummiband. Damit konnte sie den stark blutenden Armstumpf abbinden und so möglicherweise das Leben der Mutter von vier Kindern retten.

Unsere Nachbarin von Haus Nr. 9, das ebenfalls stark beschädigt war, irrte mit ihren sechs Kindern durch die stockdunkle Nacht und wäre dabei mit ihrem auf dem Arm getragenen Kleinkind fast in einen aufgerissenen Schacht gestürzt.

Erst am nächsten Morgen wurde für uns die ganze Tragweite dieses Angriffs sichtbar. Einzelne feindliche Flugzeuge verfolgten vermutlich tagsüber eine Gruppe Soldaten von der Pfalz her. Diese Soldaten machten im Hotel Sonne Quartier und sollen ihre Fahrzeuge nicht genug abgedunkelt haben (so die Vermutung – Anmerkg. d. Verf. –). Eine Bombe traf das Hotel Sonne, in dem sich die Soldaten zumeist in den Gasträumen aufhielten und von der Wirtsfrau Luise Bossinger und deren Tochter Lisgret bewirtet wurden. Emil Bossinger und seine zwei Söhne hatten zusammen mit evakuierten Schülern aus Stuttgart Schutz im Keller gesucht und kamen mit dem Schrecken oder leichteren Verletzungen davon. Luise Bossinger, Tochter Lisgret und 15 Soldaten (und die Ehefrau eines Soldaten – Anmerkg. d. Verf. –) fanden den Tod.

Es fielen noch weiter Bomben entlang der Hauptstraße, die aber alle glücklicherweise auf weichen Boden fielen und keine Häuser zerstörten oder weitere Todesopfer forderten. Hinter unserem Schulhaus befand sich ein großer Bombenkrater; eine Bombe war in den dortigen Feuerlöschteich gefallen. Die Schule musste geschlossen werden; der Schulunterricht fand in Behelfsräumen statt. Unser Haus, damals erst sieben Jahre alt, war so stark zerstört, dass es drei Jahre nicht bewohnbar war und wir Unterschlupf bei unseren Großeltern im Unterdorf fanden.

Was mir auch immer in Erinnerung bleibt: 15 Mädchen aus Dobel wurde jeweils ein Soldatengrab zur Pflege zugeteilt. Ich weiß heute noch den Namen des Soldaten, dessen Grab ich pflegte: Max Havlicek. Frau Gertrud Ehrhardt geb. Stängle hatte dazu noch Ergänzendes zu berichten, da sie sich in allernächster Nähe des Volltreffers in das Hotel Sonne befand. Sie war an diesem Mo., den 4. Dezember abends um 19:00 Uhr noch an ihrem Arbeitsplatz auf dem Rathaus (späteres Hotel Ratskeller) zusammen mit drei weiteren Kolleginnen, darunter die den älteren Doblern noch gut bekannte „Schaible´s Emma“, die das Regiment auf dem Rathaus führte. Es gab viel zu tun in jener Zeit, vor allem auch Essensmarken ausgeben und verwalten. Es war üblich, bis in die Abendstunden zu arbeiten.

Da ging die Warnung vor einem Luftangriff ein. Umgehend wurde die 19 Jahre alte „Alarm-Marie“ (eine junge Frau aus Neusatz) mit der Handsirene hinaus geschickt; Üblicherweise wurde zunächst die Schule alarmiert. Da um diese Tageszeit aber kein Unterricht mehr war, wurden die evakuierten Schüler in der „Sonne“ gewarnt. Hotelier Bossinger ging daraufhin mit den Schülern in den Keller. Die Wehrmachtssoldaten scheinen sich sicher gefühlt zu haben und blieben in den Gasträumen. Es waren darunter auch Soldaten, die mehrere Tage hier verweilten und Besuch von ihren Frauen bekommen hatten.

Es gab damals keine Luftschutzsirene, sodass nur wenige Dobler von dem Handsirenen-Alarm etwas mitbekamen. Dann ging es ganz schnell. Flugzeugmotoren dröhnten, und schon fielen die Bomben. Die erste Bombe schlug beim heutigen Kindergarten in die Wiese, die zweite traf die „Sonne“. Die dritte zerbarst hinter dem Schulhaus, eine weitere hinter der „Linde“ und noch eine weitere zwischen Oberer Bergstraße und Hotel Funk. Diese fielen gottseidank in Wiesen- oder Gartengelände und richteten vergleichsweise wenig Schaden an. Die letzte traf den Wasserschacht in der Neuenbürger Straße mit den beschriebenen Folgen.

Nachdem es ruhig geworden war, wagten sich Emma Schaible und die damals 18-jährige Gertrud Stängle hinaus. Das Hotel Sonne war total zerstört. Für die schwer verwundeten Soldaten wurde im Erdgeschoss des Rathauses ein Verbandsplatz eingerichtet. Die Zahl der Soldaten, die dieses Inferno überlebt haben ist nicht bekannt. Kompaniechef, Hauptmann Kurt Kraft, im Zivilberuf Opernsänger in Karlsruhe, 29 Jahre alt, sowie sein Stellvertreter Oberleutnant Hans-Joachim Hönecke, Student aus Berlin-Mariendorf, 28 Jahre alt, standen beim Bombeneinschlag vor dem Hoteleingang und wurden später tot in der gegenüberliegenden Parkanlage gefunden.

Luise Bossinger und Tochter Lisgret konnten nur anhand von wenigen Körperteilen identifiziert werden, die beim „Rössle“ gefunden wurden; darunter der Ringfinger von Lisgret mit dem Verlobungsring. Die Toten -Pfarrverweser Stetter nennt insgesamt 22 Opfer - wurden am 6. Dezember unter Beisein des Divisions-Generals mit militärischen Ehren auf dem Dobler Friedhof beigesetzt. Die Beisetzung wurde durch erneuten Fliegeralarm gestört.

Im Heimatbuch der Gemeinde ist von amerikanischen Bombenflugzeugen die Rede, die auf dem Abflug von dem verheerenden Bombenangriff auf Heilbronn waren und dabei noch über Dobel geflogen seien. Dies muss angezweifelt werden, denn 1. handelte es sich nicht um amerikanische Flugzeuge sondern um die britische Royal Air Force (RAF), die Heilbronn mit einem Flächenbombardement heimsuchte, und 2. begann der Bombenangriff auf Heilbronn mit 282 Lancaster-Bombern um 19:20 Uhr und dauerte etwa eine halbe Stunde. Zur gleichen Zeit wurde aber auch Dobel mit dem Reihenabwurf getroffen. Es ist daher eher anzunehmen, dass es sich um begleitende Jagdbomber der Royal Air Force handelte, die am 4.12.1914 ab 19:28 Uhr mit über 500 Lancaster-Bombern auch Karlsruhe heimsuchte. An diesem Abend starben in Heilbronn über 7.000 Menschen bei der totalen Zerstörung ihrer Stadt; in Karlsruhe kostete der Bombenterror an diesem Abend 375 Menschenleben. 978 Langstreckenbomber des „Bomber Harris“ waren nachmittags gegen 16.00 in England aufgestiegen, um ihr Zerstörungswerk, das sich bewusst gegen die Zivilbevölkerung richtete, fortzusetzen. Dobel war dieses Mal auch dabei.

Verfasser: Bernhard Kraft

http://www.dobel.de//gemeinde-dobel/geschichte/luftangriff-vor-70-jahren